Das Schultereckgelenk – von Verschleiß bis Sprengung
Ein Experteninterview mit Chefarzt Dr. Markus Leyh
Foto: Hanna Witte
Eine gesprengte Schulter? Die Bezeichnung der Verletzung hört sich tatsächlich dramatischer an, als sie ist. Eine Schultereckgelenkssprengung ist eine typische Verletzung der Schulter und wird neben dem Schultereckgelenksverschleiß von den Schulterspezialisten in der Sportklinik Hellersen sehr häufig behandelt. Im Interview mit Hellersen Insight klärt Dr. Markus Leyh, Chefarzt der Schulter-, Ellenbogen-, Kniechirurgie und Traumatologie, über die Krankheitsbilder am Schultereckgelenk auf.
Wo genau in der Schulter befindet sich das Schultereckgelenk und welche Funktion hat es?
Dr. Markus Leyh: Das Schultereckgelenk verbindet das Schlüsselbein mit dem Schulterdach, einem knöchernen Teil des Schulterblattes. Es ist die einzige wirkliche Gelenkverbindung des gesamten Arms, einschließlich des Schulterblattes, zum Rumpf. Der Arm ist letztendlich nur über das Schultereckgelenk mit dem Rumpf verbunden.
„Diese Operation hat eine sehr gute Erfolgsquote.“
Dr. Markus Leyh
Chefarzt der Schulter-, Ellenbogen-, Kniechirurgie und Traumatologie
Und das kann dieses kleine Gelenk aushalten?
Dr. Markus Leyh: Mehr oder weniger. Da am kleinen Schultereckgelenk der gesamte Arm hängt, neigt es zu Verschleiß und ist häufig von Arthrose betroffen. Im Grunde hat fast jeder ältere Mensch eine Schultereckgelenksarthrose, aber nur die wenigsten haben so gravierende Probleme, dass sie behandelt oder operiert werden müssen. Zu den konservativen Behandlungen zählen die Schmerztherapie, Triggerpunkttherapie, Akkupunktur, Physiotherapie oder die Behandlung mit Spritzen in das Gelenk. Wenn eine Operation aufgrund von Instabilität und Entzündungen erforderlich ist und es zum Knochenkontakt kommt, wird das Schultereckgelenk arthroskopisch (minimalinvasiv) entfernt. Dabei wird es fingerbreit herausgefräst. Diese Operation hat eine sehr gute Erfolgsquote.

Foto: Hanna Witte
Was ist eine Schultereckgelenkssprengung und welche Folge hat sie?
Dr. Markus Leyh: Nicht selten kommt es zu Verletzungen des Schultereckgelenks. Bei einer Schultereckgelenkssprengung zerreißen die stabilisierenden Strukturen des Gelenkes. Wir unterscheiden hier zwischen sechs Schweregeraden nach Rockwood, wobei ab Grad 4 eine Operation notwendig wird. Diese Klassifikation zeigt, welche Bänder gerissen sind und ob die Kapsel beschädigt ist.
Ist das Gelenk „nur“ in eine Richtung instabil – ähnlich wie eine Klaviertastenbewegung – ist es weniger schlimm. Bei einer akuten Zerreißung des Gelenks (Grad 4) ist es jedoch erforderlich, das Gelenk innerhalb von zwei Wochen zu stabilisieren. Hier ist das Gelenk jedoch auch nach vorne und hinten instabil, was dazu führt, dass das Schlüsselbeinende am Schulterdach (Akromion) anschlägt und Schmerzen entstehen. Bei einer Operation drücken wir das Schlüsselbeinende an seinen ursprünglichen Platz und stabilisieren eben diese oben genannten Bewegungsebenen.
Die Kapsel wird vernäht und die Haltebänder zwischen Schlüsselbein und Schulterblatt werden durch ein Seilzugsystem verstärkt. Bei chronischen Instabilitäten entnehmen wir Sehnen und rekonstruieren die Anatomie.
Die Eingriffe erfolgen minimalinvasiv arthroskopisch oder mit einem zusätzlichen vier Zentimeterlangen Hautschnitt (Mini-open). So können wir das Gelenk in alle Instabilitätsrichtungen stabilisieren und erzielen dabei sehr gute Ergebnisse.
„So können wir das Gelenk in alle Instabilitätsrichtungen stabilisieren und erzielen dabei sehr gute Ergebnisse.“
Dr. Markus Leyh
Chefarzt der Schulter-, Ellenbogen-, Kniechirurgie und Traumatologie
Das hört sich an, als ob die Verletzung gut behandelt werden kann.
Dr. Markus Leyh: Zum Teil. Der Zeitpunkt der Diagnose ist entscheidend. Und da sind wir bei einem sehr großen Problem: Wie gesagt, bei einer akuten Zerreißung müssen wir innerhalb von zwei Wochen operieren. Einige Patienten kommen aber zu spät zu uns. Das Schultereckgelenk war verletzt oder gesprengt, es wurde aber nicht sofort bemerkt. Dann kommen die Patienten erst vier oder fünf Monate später zu uns in die Sportklinik Hellersen. Das zuvor genannte Verfahren kann dann nicht mehr angewandt werden und eine Sehnenplastik ist notwendig.
Vorher
Vorher
Nachher
Wie sieht das Verfahren einer Sehnenplastik aus?
Dr. Markus Leyh: Dabei entnehmen wir eine Sehne, meistens vom Kniegelenk, und rekonstruieren damit die Bänder des Schultereckgelenks – ähnlich wie bei einer Kreuzbandplastik am Knie. Obwohl es ein größeres Verfahren ist, kann die chronische Instabilität damit gut behandelt werden.
„Die Ursache liegt meist in einer massiven Krafteinwirkung, die oft bei einem Sturz auftritt.“
Dr. Markus Leyh
Chefarzt der Schulter-, Ellenbogen-, Kniechirurgie und Traumatologie
So viel zur Behandlung. Aber wie kommt es überhaupt zu einer Schultereckgelenkssprengung?
Dr. Markus Leyh: Die Ursache liegt meist in einer massiven Krafteinwirkung, die oft bei einem Sturz auftritt. Die Verletzung tritt klassischerweise bei Sportlern auf und entsteht durch einen Unfall bei dem man direkt auf die Schulter fällt oder sich im Fall auf eine bestimmte Weise abfängt. Dabei wird die Kraft über den Oberarm auf das kleine Gelenk übertragen und reißt dieses auseinander.