Der Kampf gegen Migräne
Symptome, Behandlung, Ursachen – Schmerzspezialist klärt auf
Laut dem Deutschen Ärzteblatt ist Migräne die häufigste neurologische Erkrankung. 6 bis 8 Prozent aller Männer und sogar noch mehr Frauen – 12 bis 17 Prozent – leiden unter Migräne. Eine spezielle Migränediät gibt es nicht. Allerdings gibt es einige Trigger, die diese Kopfschmerzart begünstigen können. Dr. Wolfgang Welke, Chefarzt im Zentrum für Spezielle Schmerzmedizin an der Sportklinik Hellersen, erklärt im Interview das Wichtigste rund um das Thema Migräne.
Video: Der Kampf gegen Migräne
Was ist eigentlich Migräne?
Dr. Wolfgang Welke: Migräne ist eine sehr belastende Art von Kopfschmerz, die sehr viele Menschen betrifft und eine echte Einschränkung der Lebensqualität bedeutet. Dabei wird noch einmal zwischen unterschiedlichen Formen von Migräne unterschieden. Diese variieren zum Beispiel in der Anfallshäufigkeit – einige Patienten erleben Migräneanfälle nur zweimal im Jahr, während andere sie täglich oder mehrmals hintereinander haben. Letztere benötigen in der Regel eine dauerhafte medikamentöse Prophylaxe. Es gibt Migräne mit neurologischen Ausfällen, wie Lähmungserscheinungen, Taubheitsgefühl oder Sehstörungen. Eine weitere Form ist die perimenstruelle Migräne, die mit den Hormonwechseln während der Menstruation einer Frau in Verbindung steht. Das sind oft Patientinnen, die mehrere Tage bettlägerig sind und sehr unter den Symptomen leiden.
Die große Gefahr bei Migräne besteht darin, dass die Patienten zur Schmerzlinderung relativ zügellos nicht-steroidale Schmerzmittel zu sich nehmen wie Ibuprofen, Naproxen oder Diclofenac. Durch diese unkontrollierte Einnahme können jedoch die Organe geschädigt werden und die Betroffenen sogar in eine Medikamentenabhängigkeit rutschen. Es gibt einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz, bei dem die häufige Einnahme von Schmerzmitteln selbst zu Kopfschmerzen führt.
Wie sehen typische Migräne-Anzeichen aus?
Dr. Wolfgang Welke: Man spricht von mittelstarken bis sehr starken Schmerzen aufgrund dessen es meist einer Akutmedikation bedarf. Anfallsartige pulsierende Kopfschmerzen, oft auf einer Kopfseite, klopfend, unregelmäßig, manchmal täglich, in Verbindung mit Übelkeit und Erbrechen sowie Lichtempfindlichkeit. Oft ist halbseitig die Stirn, die Schläfen oder der Augenbereich betroffen. Es können Veränderungen des Geruchs- und Geschmackssinns oder andere neurologische Ausfälle auftreten.
Die Patienten können zuvor sagen: Gleich geht’s los! Sie haben Vorsymptome, wie zum Beispiel Gesichtsfeldausfälle, Augenflimmern oder Übelkeit. Und deshalb spricht man von Migräne mit Aura (mit Vorsymptomen) oder ohne Aura. Dies alles hinterfragen wir, um eine vernünftige Kopfschmerzanamnese mit dem Patienten durchzuführen, da es über 100 verschiedene Kopfschmerzarten gibt. Und Migräne ist nur eine davon. Für eine erfolgreiche Behandlung muss die Kopfschmerzform korrekt diagnostiziert werden.
„Wir versuchen ganz klar, der Ursache auf den Grund zu gehen.“
Dr. Wolfgang Welke
Chefarzt des Zentrums für Spezielle Schmerzmedizin
Ab wann sollte eine Migräne ärztlich behandelt werden?
Dr. Wolfgang Welke: Grundsätzlich ist es wichtig, der Ursache auf den Grund zu gehen. Dabei sollten Co-Morboditäten, also zusätzliche gesundheitliche Probleme, die parallel mit der primären Erkrankung auftreten können, berücksichtigt werden. Ein Beispiel hierfür sind Probleme mit der Halswirbelsäule, wie Bandscheibenvorfälle, Bandscheibenvorwölbungen oder Verengungen der Spinalnerven, die zu zervikogenen Kopfschmerzen führen können. Zervikogene Kopfschmerzen entstehen aus Problemen in der Halswirbelsäule oder im Nackenbereich, können sich bis in den Kopf erstrecken und somit auch mit Migräne in Verbindung stehen.
Da kann es zum Beispiel von Nöten sein, orthopädisch schmerztherapeutisch mit- und vorzubehandeln. Dadurch kann eventuell schon die Anfallshäufigkeit reduziert werden – sowohl in der Anzahl als auch in der Intensität.

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Das heißt, es werden nicht nur die Symptome behandelt?
Dr. Wolfgang Welke: Zuerst sollte bei einem Migränepatienten geschaut werden, welche Symptome auftreten, um die Migräne zu klassifizieren. Ist es wirklich ein einseitiger Kopfschmerz? Bei einem Fünftel der Fälle sind allerdings auch beide Seiten betroffen. Und in 80 Prozent der Fälle ist der Migränekopfschmerz auch – anders als man es klassisch in den Büchern liest – mit einem Spannungskopfschmerz vergesellschaftet. Das heißt, es ist oft eine Mischform von Kopfschmerzen.
Die Patienten erhalten bei uns ein Kopfschmerztagebuch. Darin notieren sie genau, bei welcher Gelegenheit der Kopfschmerz auftritt, wie lange er dauert und wie oft er pro Woche und Monat vorkommt. Anhand dieser Erkenntnisse kann man schon ziemlich klar sagen, an welcher Kopfschmerzform der Betroffene leidet.
„Die Patienten erhalten bei uns ein Kopfschmerztagebuch. Darin notieren sie genau, bei welcher Gelegenheit der Kopfschmerz auftritt, wie lange er dauert und wie oft er pro Woche und Monat vorkommt.“
Dr. Wolfgang Welke
Chefarzt des Zentrums für Spezielle Schmerzmedizin
Was können mögliche Ursachen für Migräne sein?
Dr. Wolfgang Welke: Die Ursache der Migräne ist umstritten. Man geht davon aus, dass das mit einer Durchblutungsstörung, speziell einer Erweiterung im Rahmen der Meningealgefäße, also der Hirnhautgefäße zusammenhängt. Das wiederum hat höchstwahrscheinlich mit einem bestimmten Neurotransmitter zu tun, nämlich Serotonin, dessen Vorläufer die Aminosäure Tryptophan ist. Bei diversen Mangelzuständen kommt es zum Serotoninmangelsyndrom und einer Gefäßdysregulation. Die Migränepatienten sprechen häufig von einem pulsierenden, pulssynchronen Kopfschmerz – auch ein kleiner Hinweis darauf, dass die Gefäße irgendwo involviert sind.
Wie könnte eine Behandlung nach Feststellung der Symptome aussehen?
Dr. Wolfgang Welke: Man unterscheidet zunächst zwischen einem akuten und einem chronischen Verlauf. Beim chronischen Verlauf – wenn also mehr als drei Anfälle pro Woche und einer Dauer von über drei oder vier Tagen bestehen –, dann kann das schon eine Indikation für eine Migräneprophylaxe sein.
Im akuten Migräneanfall gibt es viele Patienten, die nicht-steroidale Medikamente einnehmen. Bei der menstruellen Migräne hilft hingegen sehr häufig Naproxen.
Wie gesagt, Dauer und Häufigkeit sind wichtig, und es kann gut sein, dass man mit einer vernünftigen Prophylaxe, zum Beispiel mit einem Betablocker, die Anfallshäufigkeit drastisch senken kann und damit das Ganze erträglich ist.

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Wie sieht es in anderen Fällen aus?
Dr. Wolfgang Welke: Bei einem Migränenotfall kommt der Patient nicht aus dem Anfall heraus, hat extreme Kopfschmerzen und wird im Krankenhaus akut aufgenommen. Hier können eine Aspisol – also eine Aspirininfusion, eine Novalgininfusion, eine Parazetamolinfusion oder intravenöses Cortison verabreicht werden, um diesen schlimmen Zustand möglichst schnell in den Griff zu bekommen. Ebenfalls kann eine subkutane Injektion oder das Nasalspray eines Triptans sehr schnell helfen. Hierbei handelt es sich um eine Klasse von Medikamenten, die speziell zur Behandlung von Migräneanfällen entwickelt wurden und die die Therapie der Migräne revolutioniert haben. Sie sind gut verträglich und zeigen eine hohe Wirksamkeit bei Migräneanfällen.
„Das ist immer das Ziel: möglichst wenige Migräneanfälle.“
Dr. Wolfgang Welke
Chefarzt des Zentrums für Spezielle Schmerzmedizin
Meist kommt der Patient nicht zuerst in die Schmerzambulanz. Wie verläuft normalerweise der Leidensweg eines Migränepatienten?
Dr. Wolfgang Welke: Richtig, zu uns Schmerzärzten kommt der Patient häufig erst am Ende der Kette. Der normale Weg ist meistens, dass der Patient zuerst seinen Hausarzt aufsucht. Zudem sollte er sich auf jeden Fall auch neurologisch vorstellen. Denn Kopfschmerzerkrankungen können auch andere Ursachen haben, bis hin zur Meningitis oder zum Hirntumor. In der Regel ist daher auch eine EEG-Diagnostik und ein Schädel-MRT erforderlich. Um die orthopädische Vorgeschichte abzuklären, ist auch ein MRT der Halswirbelsäule notwendig. Ist man sich anhand der Symptome und des ausgewerteten Schmerzfragebogens sicher, dass es sich um eine Migräne handelt, kann diese sowohl medikamentös als auch verhaltenstherapeutisch behandelt werden. Die Ernährung spielt nämlich ebenfalls eine große Rolle, ebenso wie das Verhalten des Patienten und der Beruf beziehungsweise die Haltung bei der Arbeit. Stress und psychische Belastung sind häufig Trigger für Migräneanfälle. Werden bereits einige Faktoren verändert, nimmt die Anzahl der Anfälle bereits ab. Und das ist immer das Ziel: möglichst wenige Migräneanfälle.
Kann eine Migräne vollständig geheilt werden?
Dr. Wolfgang Welke: Es gibt schon Verläufe, wo die Migräne verschwindet – bei den Frauen sind es meist die Wechseljahre. Es gibt Patienten, die eine Migräne erst danach entwickeln. Das lässt sich schwer vorhersagen. Was auf jeden Fall möglich ist, ist auf die Trigger zu achten. Dazu zählen zum Beispiel Magnesiummangel, Flüssigkeitsmangel (man sollte mindestens zwei Liter am Tag trinken), Schlafmangel, Elektrolyte, ein Mangel an Vitamin-D oder auch an B6-Vitaminen.