Die Endoprothese als Hoffnung für Rheumapatienten
Zurück zur Mobilität und Lebensqualität

Foto: Jelena Stanojkovic | shutterstock.com
Chronische Gelenkschmerzen, Bewegungseinschränkungen und Erschöpfung – Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis sind häufig chronische Leiden, die oft in Schüben auftreten, bei denen sich die Symptome zunehmend verschlimmern. In einem Interview mit Hellersen Insight spricht Bernd Irlenbusch, Leitender Oberarzt der Endoprothetik, über die besonderen Herausforderungen und Risiken bei der Versorgung von Rheumapatienten mit künstlichen Gelenken und erläutert, wie technologische Fortschritte in der Endoprothetik die operativen Behandlungsmöglichkeiten deutlich verbessert haben.
Welche Rolle spielen Endoprothesen in der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Rheuma?
Bernd Irlenbusch: Ähnlich wie bei einem Arthrosepatienten ist die Rolle der Endoprothese bei einem Rheumatiker klar: Die Vermeidung von Invalidität und Immobilität. Mit dem künstlichen Gelenkersatz, insbesondere an der Hüfte und am Knie, wird die Mobilität wieder hergestellt und eine eventuelle Pflegebedürftigkeit des Rheumatikers vermieden.
„Mit dem künstlichen Gelenkersatz, insbesondere an der Hüfte und am Knie, wird die Mobilität wieder hergestellt und eine Invalidität und Pflegebedürftigkeit des Rheumatikers vermieden.“
Bernd Irlenbusch
Leitender Oberarzt der Endoprothetik
Gibt es bestimmte Rheuma-„Subtypen“ oder Krankheitsverläufe, die eine frühere oder spätere Intervention mit Endoprothesen erfordern?
Bernd Irlenbusch: Rheuma ist wie Orthopädie oder Neurologie ein eigenes Fachgebiet mit zahlreichen, darunter eingeteilten Erkrankungen. Mehr als 100 unterschiedliche rheumatische Krankheitsbilder sind bekannt, die jeweils spezifisch unterschieden und individuell behandelt werden müssen. Hierzu gehören zum Beispiel die rheumatoide Arthritis des Erwachsenen, die Schuppenflecht-Arthritis oder die kindlich juvenilen Arthritiden. Die beiden erstgenannten können, medikamentös unbehandelt, schnell zur Zerstörung von Gelenken und somit zu einem entsprechenden Funktionsverlust, Immobilität sowie Invalidität führen. Die Gruppe der juvenilen rheumatischen Erkrankungen, von denen Kinder und Jugendliche betroffen sind, zeigen bei fehlendem Ansprechen auf die medikamentöse Therapie oft schon mit 20 oder 30 Jahren einen so weit fortgeschrittenen Beschädigungsgrad der Gelenke, dass nur noch operativ behandelt werden kann. Allgemein kann man sagen, dass Rheumatiker im Durchschnitt etwa 10 Jahre früher einen künstlichen Gelenkersatz benötigen als Arthrosepatienten.



Röntgenbilder einer 40-jährigen Patientin mit medikamentös unzureichend eingestellter rheumatoider Arthritis: Während das Röntgenbild außen einen aufgehobenen Gelenkspalt zeigt, wird erst im MRT der ausgeprägte knöcherne Defekt (Rheumazyste) am äußeren Schienbeinkopf sichtbar. Diese knöchernen Erosionen sind typisch für stark entzündliche Rheumagelenke. In diesem Fall war eine Endoprothese erforderlich, um das Gelenk zu erhalten.

Röntgenaufnahmen einer 70-jährigen Patientin mit langjähriger chronischer Arthritis: Die ausgeprägte O-Bein-Stellung mit 30° Varus-Deformität zeigt die fortgeschrittene Gelenkzerstörung. Eine Korrektur und Begradigung war nur durch den Einsatz einer gekoppelten Scharnierendoprothese möglich. (Vorher-Nachher-Vergleich).
Welche Fortschritte wurden in der Technologie der Endoprothesen gemacht, um den Bedürfnissen von Patienten mit Rheuma besser gerecht zu werden?
Bernd Irlenbusch: Die Weiterentwicklung in der Endoprothetik ist auch den Rheumatikern erheblich zugutegekommen, da sie zwei wesentliche Vorteile bietet. Zum einen können wir die Patienten früher mit Endoprothesen versorgen, da durch Verbesserungen der Wechseloperationen diese nun öfters durchgeführt werden können. In den 80er Jahren war das noch ein großes Problem: Endoprothesen konnten oft nur einmal gewechselt werden und Patienten, die bereits in jungen Jahren, etwa mit 30 oder 40 Jahren, eine Prothese benötigten, mussten häufig bis zum Alter von 60 Jahren warten, um versorgt zu werden. Die Modularität, d.h. das ein Implantat während des chirurgischen Eingriffs auf die individuellen Gegebenheiten angepasst werden kann, ermöglicht es uns, Rheumatiker früher und besser zu versorgen, auch bei knöchernen Defekten.
Zum anderen wurden die Implantate in den 80-90’er Jahren bei Rheumatikern oft mit Knochenzement befestigt, da rheumatische Patienten in der Regel sehr weiche Knochen haben. Heute hat sich das geändert. Zementfreie Endoprothesen stellen dahingehend einen Fortschritt dar, dass sie leichter auszutauschen sind. Die beiden wesentlichen Fortschritte sind daher: Modularität und die Verbesserung bei zementfreien Implantaten.
Bei Rheumatikern ist statistisch gesehen die Revisionsrate, also die Notwendigkeit einer Folgeoperation bei Hüftendoprothesen, um den Faktor 1,6 höher als bei Nicht-Rheumatikern.
Bernd Irlenbusch
Leitender Oberarzt der Endoprothetik

Foto: freepik.com
Wie beurteilen Sie das Risiko einer Endoprothese bei Patienten mit rheumatoidem Grundleiden im Vergleich zu Patienten mit anderen orthopädischen Erkrankungen?
Bernd Irlenbusch: Bei Rheumatikern ist statistisch gesehen die Revisionsrate, also die Notwendigkeit einer Folgeoperation bei Hüftendoprothesen, um den Faktor 1,6 höher als bei Nicht-Rheumatikern. Besonders zu beachten ist die Infektionsrate, die mit dem Faktor 1,8 bei Rheumatikern fast doppelt so hoch ist.
Die erhöhten Anfälligkeiten lassen sich auf mehrere Faktoren zurückführen. Zum einen spielen die immunsuppressiven Medikamente eine Rolle, die Rheumatiker häufig einnehmen. Diese Medikamente schwächen gewollt das Immunsystem, führen aber andererseits zu einer höheren Infektanfälligkeit. Zum anderen kommen noch Hautprobleme (Schuppenflechte, Kortisonhaut) erschwerend hinzu, welche mit einer erhöhten Infektionsgefahr einhergehen. Zuletzt ist der häufig „weichere“ Knochen infolge eine Osteomalazie oder Osteoporose bei Rheumatikern zu nennen, der eine knöcherne Verankerung bzw. das Einheilen des Implantates erschwert.
Die Komplikationsrate sinkt, wie auch in anderen chirurgischen Fachgebieten, mit der steigenden Erfahrung des Operateurs. Somit sollten sich Rheumatiker in einem entsprechenden Zentrum von Operateuren mit rheumachirurgischer Expertise versorgen lassen.