Von der Explantation zur Brustrekonstruktion
Wie die Ästhetische Chirurgie nicht nur den Körper, sondern auch das Leben verändert
In einem Interview mit Hellersen Insight berichtet Dr. Petra Scheffer, Chefärztin für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, von der eindrucksvollen Geschichte einer Patientin, die nach dem Rückruf des Implantatherstellers und der anschließenden Explantation ihrer Brustimplantate den Weg in die Sportklinik Hellersen fand. Nach der Entfernung der Implantate litt die Patientin unter einer stark deformierten und asymmetrischen Brust, die von tiefen Vernarbungen gezeichnet war.
Video: Interview mit Dr. Petra Scheffer
Was ist BIA-ALCL?
BIA-ALCL: Brustimplantat-assoziiertes anaplastisches großzelliges Lymphom
- Seltene Krebsart, die mit Brustimplantaten in Verbindung steht
Tritt typischerweise 8-10 Jahre nach Implantation auf
Hauptsymptom: Flüssigkeitsansammlung um das Implantat
Höheres Risiko bei stark texturierten Implantaten
Können Sie uns erläutern, welche Art von Brustimplantaten ursprünglich bei der Patientin eingesetzt wurden und warum ein Rückruf stattfand?
Dr. Petra Scheffer: Die Patientin erhielt im Jahr 2013 texturierte Implantate. Zu dieser Zeit bestand die Auswahl hauptsächlich zwischen glatten und texturierten Varianten. Glatte Implantate wurden in Europa und den USA weniger verwendet, da sie häufiger zu Kapselfibrosen führten und leichter verrutschen konnten. Texturierte Implantate galten als bessere Wahl, da ihre raue Oberfläche die Stabilität im Gewebe förderte.
Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass bestimmte stark texturierte Implantate mit späten Komplikationen in Verbindung standen. Es bildete sich Flüssigkeit um die Implantate, und in seltenen Fällen fanden sich darin Krebszellen. Ab 2018 gab es weltweit 516 dokumentierte Fälle von BIA-ALCL, dem „Brustimplantat-assoziierten anaplastischen großzelligen Lymphom“. In Deutschland waren es zu diesem Zeitpunkt etwa sieben Fälle. Dieser Krebs betrifft Lymphozyten, eine Art weißer Blutkörperchen, und kann nicht nur in der Flüssigkeit um die Implantate, sondern auch in Lymphknoten, Knochen, Lunge oder der Leber auftreten.
Der Rückruf bezog sich auf hochtexturierte Implantate, insbesondere eines Herstellers, deren Lagerbestände in Europa Ende 2018 und weltweit 2019 zurückgenommen wurden. Der Rückruf betraf ausschließlich die Beschaffenheit der Implantatoberfläche und hatte keine Auswirkungen auf bereits eingesetzte Implantate oder deren Inhalt. Seither hat die Industrie auf mikrotexturierte Oberflächen umgestellt, um höchsten Standards gerecht zu werden.
Befund nach 2x externen OPs
6 Wochen nach 3. OP
6 Monate nach 4. OP
Wie erkennt man solche Komplikationen und wie wird bei betroffenen Patientinnen vorgegangen?
Dr. Petra Scheffer: Typische Symptome einer möglichen Komplikation nach einer Implantation sind eine Brustschwellung, Rötungen oder ein Druckgefühl. Wichtig ist, zunächst Infektionen auszuschließen, da diese weitaus häufiger auftreten. Die Entartung, also die unkontrollierte Zellveränderung, bei der die Zellen ihre normale Struktur und Funktion verlieren und zu bösartigen Tumoren werden, ist jedoch äußerst selten – die Wahrscheinlichkeit liegt bei etwa 1 zu 1 Million. Sollte dennoch ein Verdacht bestehen, folgt ein standardisiertes Vorgehen: Zunächst wird ein Ultraschall oder eine MRT-Untersuchung durchgeführt. Falls Flüssigkeit vorhanden ist, wird diese ultraschallgestützt punktiert und umfassend analysiert – dabei werden etwa 100 ml Flüssigkeit entnommen, um ausreichend Material für Laboranalysen zu erhalten. Untersucht wird auf Krebsmarker durch Immunhistologie und mögliche bakterielle Infektionen.
In dem vorliegenden Fall klagte die Patientin 2021 über Schmerzen in der linken Brust. Nach einer gründlichen Diagnostik entschied man in einem anderen Krankenhaus, die Implantate zu entfernen. Solche Entscheidungen werden individuell und auf Basis des jeweiligen Befunds getroffen. Zum Glück bestätigten die Untersuchungen, dass bei der Patientin keine bösartige Tumorerkrankung vorlag.
„Diese Vorgehensweise gab der Patientin die Möglichkeit, in Ruhe zu entscheiden, was für sie langfristig das Beste ist.“
Dr. Petra Scheffer
Chefärztin für Plastische, Rekonstruktive
und Ästhetische Chirurgie
Wie haben Sie die stark vernarbten und asymmetrischen Brüste der Patientin nach der Explantation beurteilt? Welche Optionen haben Sie ihr vorgeschlagen?
Dr. Petra Scheffer: Zunächst habe ich die Patientin untersucht, die Narben abgetastet und die Bewegungen der Brust beurteilt, z.B. wenn sie die Arme hebt. Dabei fiel auf, dass die Brust sehr deformiert und asymmetrisch war. Vor allem im unteren Bereich der rechten Brust war nahezu kein Volumen mehr vorhanden. Die Brust hatte ihre runde Form komplett verloren, was durch die ausgeprägten Narben bedingt war.
Ich habe der Patientin dann Schritt für Schritt erklärt, wie ich vorgehen würde und wir haben das gemeinsam vor einem Spiegel besprochen, damit sie es besser nachvollziehen konnte. Mein Vorschlag war, zunächst die Narben zu entfernen und die Brust in eine runde Form zu bringen. Zwar könnte man theoretisch sofort ein Implantat einsetzen, aber das birgt ein hohes Risiko für Komplikationen.
Wenn man Narben entfernt, entstehen größere Wundflächen, die stärker bluten können. Es besteht auch das Risiko, dass sich um die Implantathülle eine stark vernarbte und verhärtete Kapsel bildet. Daher habe ich ihr empfohlen, nach der Narbenentfernung und Formkorrektur mindestens ein halbes Jahr zu warten, bevor sie über Implantate nachdenkt. In dieser Zeit sinkt die Brust durch Abschwellung in ihre dann natürliche Tropfenform ab.
Ich habe ihr auch die Option angeboten, auf Implantate komplett zu verzichten, wenn sie mit der natürlichen Form der Brust nach der Heilung zufrieden ist. Man könnte die Symmetrie z.B. mit Eigenfett auf der rechten Seite angleichen ohne weitere Eingriffe links. Durch Implantate kann jedoch insgesamt ein größeres Volumen erreicht werden. Diese Vorgehensweise gibt der Patientin die Möglichkeit, in Ruhe zu entscheiden, was für sie langfristig das Beste ist.
Implantatregister Deutschland (IRD)
- Verpflichtende Einführung seit Juli 2024
- Dokumentation aller eingesetzten Implantate
- Verbesserte Nachverfolgbarkeit und Patientenversorgung
- Meldepflicht für Gesundheitseinrichtungen
- Ziel: Qualitätssicherung und Langzeitbeobachtung von Implantaten
- Gesetzliche Grundlage: Implantateregistergesetz
- Weitere Informationen:
- BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte)
- DGPRÄC (Deutsche Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie)
Warum wurden bei der letzten Operation unterschiedliche Implantatgrößen verwendet?
Dr. Petra Scheffer: Der rechte untere Brustpol war deutlich kleiner als der linke, weshalb ich auf der rechten Seite ein größeres Implantat von 425 ml wählte, um die Form und das Volumen auszugleichen. Auf der linken Seite setzte ich 350 ml ein, um eine symmetrische und ästhetisch ansprechende Brustform zu erzielen. Wir entschieden uns für anatomische tropfenförmige Implantate, da diese besonders gut geeignet sind, um Defekte im unteren Brustbereich auszugleichen, während runde Implantate eher den oberen Bereich betonen würden. Anatomische Implantate bieten eine natürliche Brustform und können, wenn sie korrekt platziert werden, zu hervorragenden Ergebnissen führen.
„Wir nehmen solche Beschwerden sehr ernst und untersuchen diese gründlich.“
Dr. Petra Scheffer
Chefärztin für Plastische, Rekonstruktive
und Ästhetische Chirurgie

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Wie sieht die Nachsorge für die Patientin aus und wie stellen Sie sicher, dass keine erneuten Komplikationen auftreten?
Dr. Petra Scheffer: Nach der Entlassung sehe ich alle Patientinnen, egal ob sie ambulant oder stationär behandelt wurden, in der Regel nach zwei Tagen und nach zwei Wochen.
In der Unterbrustfalte verwenden wir resorbierbares Material, nur die Knoten an den Enden werden nach zwei bis drei Wochen entfernt. Danach erfolgen Kontrollen nach sechs Wochen und nach sechs Monaten.
Ich empfehle meinen Patientinnen stets, ihrer Gynäkologin mitzuteilen, dass sie Implantate tragen und gebe den Implantatausweis sowie einen OP-Bericht mit. Im Rahmen der Routineuntersuchungen sollte jährlich ein Ultraschall der Brust durchgeführt werden.
Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Patientinnen ihre Brust regelmäßig selbst abtasten, wie bei der Brustkrebsvorsorge. Wenn ungewöhnliche Symptome wie Druckgefühl, Schwellung, Rötung oder Schmerzen auftreten, sollten Patienten sich umgehend bei uns melden. Wir nehmen solche Beschwerden sehr ernst und untersuchen diese gründlich.
Welche langfristigen Erwartungen haben Sie hinsichtlich der Haltbarkeit und Sicherheit der neuen Implantate?
Dr. Petra Scheffer: Generell sind Brustimplantate nicht dafür ausgelegt, ein Leben lang zu halten, da es immer eine gewisse Materialermüdung gibt. Heute verwenden wir jedoch moderne Implantate, die mit einer mehrschichtigen Hülle ausgestattet sind und statt flüssigem Silikon kohäsives Gel enthalten – ähnlich wie „Wackelpudding“. Das bedeutet, dass das Gel bei einem Riss nicht mehr auslaufen kann. Während früher empfohlen wurde, Implantate nach etwa 10 Jahren auszutauschen, gibt es heute keine festen Empfehlungen mehr.
Das Hauptproblem ist nicht das Material des Implantats, sondern der Körper selbst. Der Körper bildet immer eine dünne Hülle um den Fremdkörper, die sogenannte Kapsel. Wenn diese Kapsel jedoch verhärtet oder vernarbt, kann sie sich so stark zusammenziehen, dass sie Schmerzen verursacht und die Form des Implantats verändert. In solchen Fällen muss das Implantat entfernt und eventuell ausgetauscht werden.
Um das Risiko einer Kapselverhärtung zu minimieren, setzen wir das Implantat unter den Muskel und wählen eine feine Texturierung der Implantatoberfläche. Studien zeigen, dass die Häufigkeit einer Kapselbildung zwischen 0,6 und 17 Prozent liegt. Bei dieser Patientin ist das Risiko aufgrund mehrfacher Operationen und der vorhandenen Narben etwas höher. Daher sind wir besonders vorsichtig vorgegangen. Wir haben zunächst die Brust rekonstruiert und ihr etwa neun Monate Zeit zur Heilung gegeben, bevor wir Implantate einsetzten. Dieses aufeinander folgende Vorgehen hilft, das Risiko einer Kapselbildung deutlich zu reduzieren.
„Bei den Nachkontrollen beschrieb die Patientin, wie glücklich sie jetzt im Nachhinein ist.“
Dr. Petra Scheffer
Chefärztin für Plastische, Rekonstruktive
und Ästhetische Chirurgie
Wie haben Sie die Patientin nach den zahlreichen Eingriffen und den damit verbundenen Herausforderungen emotional begleitet?
Dr. Petra Scheffer: Beim Erstkontakt mit mir war die Patientin eher zurückhaltend und wandte sich auch öfter an ihren Ehemann, der sie begleitete. Es ist nachvollziehbar, dass sie durch ihre Vorgeschichte sehr verunsichert war und sich daher eine zweite Meinung einholen wollte. Die ausführlichen Erklärungen meinerseits der Vor- und Nachteile der verschiedenen operativen Möglichkeiten und das daraus resultierende Verständnis der Patientin und ihres Partners, wie das komplexe System der Heilung funktioniert, hat ihr Sicherheit und Vertrauen gegeben. Sie hatte genug Zeit sich zu entscheiden, sogar ob sie wirklich nochmals Implantate haben möchte. Zusätzlich erhielt die Patientin wertvolle Unterstützung von ihrem Ehemann, der sie bei allen wichtigen Terminen und den Eingriffen begleitete. Später konnte man sehen, dass sie die Nachkontrollen selbstständig und positiv wahrnahm. Die Erleichterung über das Fehlen einer bösartigen Erkrankung war spürbar, und die offene Kommunikation half ihr, eine fundierte Entscheidung zu treffen, auch mit der Möglichkeit, auf Implantate zu verzichten. Insgesamt schätze ich sie als stabile Persönlichkeit ein, die trotz der Herausforderungen eine positive Einstellung behielt. Bei den letzten erfolgten Nachkontrollen beschrieb die Patientin jedes Mal, wie glücklich sie jetzt sei.
Durchgeführte Operationen
Erste Brustoperation:
- 2013: Externe Brustvergrößerung
- Implantate: 360 ml pro Seite
- Rückruf der Lagerbestände makrotexturierter Implantate wegen Auftreten BIA-ALCL
Explantation der Implantate:
- März 2022: Brustimplantate wurden explantiert
- Untersuchung ergab keine bösartige Tumorerkrankung
Erste Korrektur-Operation:
- 23. Juni 2023: Operation durch Dr. Petra Scheffer
- Narben wurden gelöst und eine Straffung der Brust durchgeführt, um die Form wiederherzustellen
Zweite Korrektur-Operation:
- 25. März 2024: Durchführung einer Brustvergrößerung durch Dr. Petra Scheffer.
- Neue Implantate: Anatomische, tropfenförmige Implantate unter den Muskel eingesetzt
- Größen: 350 ml linke Seite, 425 ml rechten Seite zur Korrektur der Asymmetrie