Im Interview mit

Dirk Burghaus, Vorstandsvorsitzender der Sportklinik Hellersen

Dirk Burghaus
Vorstandsvorsitzender Sportklinik Hellersen

Foto: Hanna Witte

Keine Zukunft ohne KI –
der Wegbereiter für nachhaltige Medizin

Artikel vorlesen lassen

Patientenversorgung, Diagnostik oder Dokumentation das deutsche Gesundheitssystem steht unter massivem Druck. Der Fachkräftemangel ist längst Realität und wirkt sich spürbar auf Patienten und Personal aus. Darüber hinaus wachsen Bürokratie und Aufwand, viele Prozesse sind veraltet und schlecht vernetzt. Konträr dazu ist KI in aller Munde und sicherlich auch eine sinnvolle und hilfreiche Ergänzung. Wie passt das zusammen?

Dirk Burghaus, Vorstandsvorsitzender der Sportklinik Hellersen, sieht in KI keine Zukunftsvision, sondern eine notwendige Antwort auf die aktuellen Herausforderungen. Im Gespräch mit Hellersen Insight erklärt er, welche digitalen Lösungen die Sportklinik Hellersen bereits nutzt und bald einführt, um Prozesse zu optimieren, Patientenwege zu vereinfachen und das medizinische Personal gezielt zu entlasten.

Warum ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen aus Ihrer Sicht so notwendig?
Dirk Burghaus: Ohne den Einsatz von KI wird das Gesundheitswesen künftig nicht mehr in der Lage sein, die Vielzahl an Aufgaben effizient zu bewältigen weder medizinisch noch organisatorisch. Wir sprechen hier über eine Medizin, in der sich über Jahrzehnte hinweg weltweit unvorstellbare Datenmengen angesammelt haben: Diagnosen, Forschungsergebnisse, klinische Erfahrungswerte ganze Bibliotheken voller Wissen. Kein Mensch kann diese Informationsflut vollständig überblicken oder im Kopf behalten. Eine KI kann das – sie ist in der Lage, diese riesigen Datenmengen in Sekundenschnelle zu analysieren und dementsprechend Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Wenn wir den Anspruch haben, für unsere Patienten die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten, dann ist der Einsatz von KI nicht nur sinnvoll, sondern in vielerlei Hinsicht auch notwendig. Denn die KI stellt Informationen zur Verfügung, die ein einzelner Arzt allein nicht in dieser Breite und Geschwindigkeit verarbeiten könnte. Es geht also darum, bessere Entscheidungen treffen zu können – im Sinne der Patienten. Und es geht auch darum, die Arbeitsrealität in den Kliniken zu verbessern. Wir haben bereits heute zu wenig Fachkräfte, die die stetig steigenden Aufgaben stemmen können. KI hilft uns, Prozesse effizienter zu gestalten, Zeit zu gewinnen und die knappen personellen Ressourcen gezielter einzusetzen.

Schon heute kann die künstliche Intelligenz das medizinische Personal spürbar entlasten.

Dirk Burghaus,
Vorstandsvorsitzender der Sportklinik Hellersen

Ist die künstliche Intelligenz bereits so weit entwickelt, dass sie Ärzte im Klinikalltag sinnvoll unterstützen kann?
Dirk Burghaus: Ja, allerdings noch mit Einschränkungen. Aktuell sind wir noch nicht an dem Punkt, an dem KI ärztliche Entscheidungen vollständig übernehmen kann – und das wird auch in absehbarer Zukunft nicht der Fall sein. Doch schon heute kann die künstliche Intelligenz das medizinische Personal spürbar entlasten. Ein Beispiel: Bei erhöhten Cholesterinwerten kann eine KI die Auswertung übernehmen und auf Basis definierter Parameter erste Empfehlungen aussprechen. Das schafft Freiräume für das Wesentliche etwa das persönliche Gespräch mit dem Patienten.

Und genau darum geht es: Wenn Mediziner weniger Zeit mit Dokumentation und Auswertung verbringen, können sie sich stärker auf die individuelle Versorgung konzentrieren. Viele Abläufe im Klinikalltag sind noch immer papierbasiert oder von mehrfacher Datenerhebung geprägt. Das ist nicht nur ineffizient, sondern kann sich auch negativ auf die Behandlungsqualität auswirken. Der gezielte Einsatz von KI ermöglicht es, Informationen schneller zu bündeln, Muster zu erkennen und Zusammenhänge herzustellen und das vielfach effektiver, als ein Mensch es kann.

Die technologische Entwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte zeigt eine klare Dynamik. Verläuft dieser Fortschritt exponentiell, ist es nur eine Frage der Zeit, bis KI einfache Diagnosen zuverlässig übernehmen kann. Dennoch bleibt der Mensch auch künftig unersetzlich gerade in der Medizin. Es braucht medizinische Expertise, die Ergebnisse prüft, richtig einordnet und Verantwortung übernimmt. KI kann analysieren, empfehlen, aber nicht entscheiden. Ihr Potenzial liegt darin, ärztliche Kompetenz zu ergänzen für fundiertere, schnellere und sicherere Entscheidungen.

Foto: Hanna Witte

Welche Anwendungen planen oder nutzen Sie bereits konkret in der Sportklinik Hellersen?
Dirk
Burghaus:
Wir arbeiten aktuell an mehreren KI-basierten Projekten, mit denen wir sowohl die Patientenversorgung als auch interne Abläufe optimieren möchten. Eines der spannendsten Projekte ist der Einsatz von realitätsnahen Avataren für die Patientenaufklärung. Dabei handelt es sich nicht um einfache Animationen, sondern um digitale Abbilder beispielsweise von unseren Chef- und Oberärzten, die auf Basis echter Videosequenzen erstellt werden. Der Avatar spricht mit dem Patienten, erklärt Abläufe und stellt gezielte Fragen, etwa zur Narkose, zur OP-Vorbereitung oder zu Vorerkrankungen.

Alle Inhalte werden medizinisch geprüft, regelmäßig aktualisiert und individuell auf die jeweilige Behandlungssituation zugeschnitten. So können wir im Vorfeld einer Behandlung grundlegende Informationen vermitteln. Das sorgt für mehr Sicherheit und Verständnis auf Seiten des Patienten. Gleichzeitig gewinnen unsere Ärzte Zeit für das persönliche Gespräch, das immer individuell bleiben wird.

Zudem entwickeln wir aktuell ein System zur KI-gestützten Dokumentenvorstrukturierung. Patienten bringen teilweise umfangreiche Vorbefunde mit. Die KI kann hier helfen, die relevanten Informationen herauszufiltern und entsprechend für das medizinische Personal aufzubereiten. Das bedeutet weniger Suchaufwand, mehr Überblick und kürzere Reaktionszeiten.

Auch administrative Prozesse lassen sich deutlich verschlanken, beispielsweise durch eine KI-basierte Terminvergabe. Patienten können per Sprachdialogsystem unkompliziert und automatisiert Termine vereinbaren. Die Systeme lernen dazu und erkennen typische Anliegen. Dadurch entlasten wir nicht nur unsere Telefonzentrale, sondern bieten Patienten eine unkomplizierte erste Kontaktaufnahme und das rund um die Uhr.

Wie nehmen Ihre Mitarbeiter die Entwicklungen rund um KI wahr?
Dirk
Burghaus:
Ich bin überzeugt davon, dass wir uns alle – egal in welchem Berufsfeld künftig stärker darauf einstellen müssen, dass sich unsere Aufgaben verändern. Und zwar schneller als je zuvor. Das gilt insbesondere auch im Gesundheitswesen, wo der Druck hoch und die Ressourcen stark begrenzt sind. Wir begleiten diesen Wandel in der Sportklinik Hellersen aktiv mit. Uns ist wichtig, unsere Mitarbeiter frühzeitig einzubinden, sie zu informieren und zu schulen.

Es geht nicht darum, Mitarbeiter zu ersetzen. Und wir sprechen schon gar nicht von Personalabbau durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Vielmehr geht es uns darum, bestehende Aufgaben neu zu denken und Mitarbeiter bei Tätigkeiten zu entlasten, die viel Zeit und Kapazitäten in Anspruch nehmen – etwa durch massive Mehrfachdokumentation oder rein administrative Abläufe. Genau hier setzt KI an. Diejenigen, die offen für diese Entwicklung sind, erleben sie als Chance. Sie sehen, dass sie sich wieder stärker auf ihre eigentlichen Aufgaben und auf ihre Patienten konzentrieren können.

Foto: Hanna Witte

Wo sehen Sie aktuell die größten Hürden beim Einsatz von künstlicher Intelligenz?
Dirk
Burghaus:
Eine der größten Hürden liegt im Bereich der IT-Strukturen – konkret bei den Schnittstellen zwischen den Systemen. Viele Softwarelösungen in Krankenhäusern sprechen schlicht nicht miteinander. Das führt dazu, dass Daten mehrfach erfasst werden müssen: Gewicht, Größe, Diagnosen, Medikamente oft alles mehrfach an unterschiedlichen Stellen. Das kostet Zeit, ist ineffizient und für alle Beteiligten frustrierend. Dabei gäbe es längst Systeme, die solche Doppelerfassungen überflüssig machen. Was fehlt, sind einheitliche Schnittstellen und die Bereitschaft der Softwareanbieter, diese auch zu ermöglichen. Es gibt zwar rechtliche Vorgaben, dass diese Systeme miteinander kommunizieren müssen, aber in der Realität funktioniert das leider noch nicht reibungslos.

Die zweite große Hürde ist der Datenschutz. In Europa – und insbesondere in Deutschland haben wir uns einen Datenschutz geschaffen, der an vielen Stellen mit der Realität nicht mithalten kann. Der sogenannte AI Act – ein europäisches Gesetz zur Regulierung künstlicher Intelligenz basiert beispielsweise auf einem Wissensstand, der der technologischen Realität an vielen Stellen weit hinterherhinkt. Statt Innovation zu ermöglichen, schafft er in der aktuellen Form zusätzliche Hürden und Unsicherheiten gerade im hochsensiblen Gesundheitsbereich. In der Praxis führt das dazu, dass Innovation blockiert wird, bevor sie überhaupt begonnen hat. Wir diskutieren seit Jahren über elektronische Patientenakten, während in anderen Ländern längst alle Gesundheitsdaten zentral und sicher digital erfasst werden.

Ein Beispiel sind die Vereinigten Arabischen Emirate. Dort wird beim Betreten einer Arztpraxis der Fingerabdruck gescannt und der Arzt erhält sofort Zugriff auf alle medizinischen Daten natürlich nur er. Das ist datenschutzkonform geregelt, effizient und sicher. Wir in Europa hingegen denken vor allem in Schranken und weniger in Möglichkeiten. Dabei geht es nicht darum, den Datenschutz abzuschaffen. Es geht darum, ihn sinnvoll mit digitalem Fortschritt zu verbinden im Sinne einer besseren Versorgung.

Welche Entwicklung streben Sie für die Sportklinik Hellersen in den kommenden Jahren an – insbesondere mit Blick auf KI und Digitalisierung?
Dirk Burghaus: Wir möchten künstliche Intelligenz in den nächsten drei bis fünf Jahren systematisch in unsere Klinikprozesse integrieren nicht als Einzelmaßnahme, sondern als durchdachtes Gesamtkonzept. Das betrifft sämtliche Bereiche: von der Aufnahme über die ärztliche Dokumentation bis hin zur Nachsorge. Wir wollen nicht nur Prozesse effizienter gestalten, sondern auch die Versorgungsqualität weiter erhöhen.

Uns ist wichtig, dass unsere Mitarbeiter diesen Weg mitgehen. Deshalb investieren wir gezielt in Schulungen und Weiterbildungen, um sie im Umgang mit den digitalen Anwendungen zu stärken und ihnen Sicherheit im praktischen Einsatz zu geben.

Darüber hinaus setzen wir auf internationale Partnerschaften, etwa mit Kliniken in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Austausch schafft neue Perspektiven und Innovationsimpulse. Dies hilft uns, gemeinsam Standards zu entwickeln, die über Ländergrenzen hinweg tragfähig sind.

Wir setzen auf internationale Partnerschaften, etwa mit Kliniken in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Austausch schafft neue Perspektiven und Innovationsimpulse.

Dirk Burghaus,
Vorstandsvorsitzender der Sportklinik Hellersen

Welches Fazit würden Sie ziehen?
Dirk Burghaus: Am Ende steht für mich eine klare Haltung: Technologie ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Mittel, um Medizin besser, menschlicher und zielgerichteter zu machen. KI ist dabei ein Schlüssel aber es braucht den Menschen, der die Tür verantwortungsvoll aufschließt.

Wer medizinische Verantwortung übernimmt, kommt am Einsatz künstlicher Intelligenz nicht vorbei – alles andere wäre ein Bruch mit dem Anspruch, die bestmögliche Versorgung sicherzustellen. Wir sollten also mutig sein, den Prozess mitgestalten, anstatt abzuwarten.